- Friedensnobelpreis 1935: Carl von Ossietzky
- Friedensnobelpreis 1935: Carl von OssietzkyDer vom NS-Regime im KZ inhaftierte Pazifist wurde für seinen wertvollen publizistischen Beitrag zum Frieden und für seinen Kampf gegen Militarismus und Nationalismus ausgezeichnet.Carl von Ossietzky * Hamburg 3. 10. 1889, ✝ Berlin 4. 5. 1938.; 1907 Hilfsschreiber im Justizdienst, 1913 Heirat mit Maud Hester Lichfield-Woods, 1916-18 Soldat im Ersten Weltkrieg, 1919 Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft, ab 1920 Redakteur, ab 1926 bei der »Weltbühne« (1927 Herausgeber), 1931 Gefängnisstrafe wegen angeblichen Landesverrats, 1933-36 Inhaftierung im KZ, danach Krankenhausaufenthalt unter Gestapoaufsicht.Würdigung der preisgekrönten LeistungBleich, mit eingefallenen Wangen, dunklen Schatten um die Augen und kurzgeschorenem Haar, den Blick starr nach unten gerichtet, steht Häftling Nummer 562 einem SS-Mann gegenüber, der sich drohend vor ihm aufgebaut hat. Der Mann auf diesem berühmten Foto ist Carl von Ossietzky. Als Insasse des Konzentrationslagers Esterwegen gehört er zu den »Moorsoldaten«, die die SS-Bewacher Tag für Tag hinaus in die Moore des Emslandes treiben, damit sie dort zehn und mehr Stunden das trostlose Land »kultivieren«.Die Arbeit im Moor ist Schwerstarbeit, und wer wie Ossietzky eine schwache körperliche Konstitution hat, dessen Chancen sind nicht allzu gut, das Lager lebend zu verlassen. Oft genug ist der sensible Schriftsteller Ossietzky zu langsam, zu ungeschickt, schafft sein Tagespensum nicht und wird deswegen geschlagen, getreten, hin- und hergejagt, bis er zusammenbricht.So wird einer der bedeutendsten Pazifisten der Weimarer Republik, der stets nur mit den Waffen eines Schreibenden gegen Gewalt, Unrecht und Krieg gekämpft hat, selbst das Opfer des Terrors, mit dem die Nazis Andersdenkende überziehen.Ein politischer Journalist aus PassionIm Alter von 15 Jahren verlässt Carl von Ossietzky die Realschule ohne Schulabschluss und wird 1907 Hilfsschreiber beim Amtsgericht und später beim Grundbuchamt in Hamburg. Doch bald schon wendet er sich dem Journalismus zu, in dem er seine wahre Berufung sieht. Ab 1912 veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in der Zeitschrift »Das freie Volk«. Die pazifistische Einstellung, die seinen Artikeln schon damals zugrunde liegt, wird durch die Jahre als Soldat im Ersten Weltkrieg noch gestärkt.1919 zieht Ossietzky mit seiner Frau Maud, der Tochter eines englischen Armeeoffiziers und einer indischen Prinzessin, nach Berlin und wird Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft. Diesen Posten gibt er 1920 zugunsten einer Betätigung als Redakteur bei der radikaldemokratischen »Berliner Volkszeitung« wieder auf. Ab 1924 arbeitet er bei der linksliberalen Wochenzeitung »Das Tage-Buch« und beim »Montag Morgen« mit. Seine pazifistischen Ideen setzt er außerdem als Organisator der Nie-wieder-Krieg-Bewegung um, die an jedem Jahrestag des Weltkriegsbeginns hunderttausende zu Massendemonstrationen gegen den Krieg und für Frieden auf die Straße bringt. Ossietzky hält Reden auf zahlreichen Kundgebungen und arbeitet an der Friedenszeitschrift »Nie wieder Krieg!« mit.Im April 1926 macht Ossietzky bei der Wochenzeitschrift »Die Weltbühne« fest, geistige Heimat der antimilitaristisch und liberal gesonnenen Intellektuellen der 1920er-Jahre. Hier werden Beiträge so bedeutender Schriftsteller wie Tucholsky, Kästner, Feuchtwanger oder Arnold Zweig veröffentlicht.Nach dem Tod des »Weltbühne«-Gründers Siegfried Jacobsohn wird Carl von Ossietzky Herausgeber der Zeitschrift, die unter seiner Führung besonders die wachsende Gewalt und den Terror von rechts, Militarismus und Nationalismus im Visier hat und zum »schlechten Gewissen« der späten Weimarer Republik wird. Ossietzky wird als verantwortlicher Redakteur und Leitartikler zur Zielscheibe von Militär und rechter Justiz, die ihn und seine Zeitschrift zum Schweigen bringen wollen. Er handelt sich unter anderem wegen Beleidigung der Reichswehr mehrere Geldstrafen ein, wird 1931 wegen eines Artikels über heimliche Rüstungsprojekte der Reichswehr im so genannten »Weltbühne«-Prozess sogar des Landesverrats angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Doch auch danach bleiben seine Artikel so unbequem wie vorher. Die Reaktion der Nazis, die im Januar 1933 in Deutschland die Macht ergriffen haben, lässt nicht lange auf sich warten: Am 28. Februar, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, wird Carl von Ossietzky erneut verhaftet.Der Leidensweg durch die KonzentrationslagerAm 6. April 1933 wird Ossietzky zusammen mit anderen Intellektuellen und linken Politikern ins KZ Sonnenburg bei Küstrin transportiert, wo die Gefangenen bereits beim Eintreffen durch die wachhabende Polizei und SA schwer misshandelt werden. Die Quälereien reichen von Beschimpfungen über Prügel bis zu Scheinhinrichtungen.Auch nachdem man ihn im Februar 1934 ins Konzentrationslager Esterwegen verlegt hat, wird der schmächtige und stets kränkelnde Mann von den Nazi-Schergen weiter geschunden. Als im Oktober 1935 der Schweizer Diplomat Carl Jacob Burckhardt im Auftrag des Internationalen Roten Kreuzes das KZ besichtigt, findet er, als er Carl von Ossietzky sehen will, einen zerstörten Menschen vor: »Nach zehn Minuten kamen zwei SS-Leute, die einen Mann mehr schleppten und trugen als heranführten. Ein zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen, er schleppte ein gebrochenes, schlecht geheiltes Bein.« Doch Ossietzkys Zustand verschlimmert sich noch, im Frühjahr 1936 erkrankt er an offener Tuberkulose.Die NobelpreiskampagneZu diesem Zeitpunkt hat sich bereits in mehreren europäischen Ländern ein »Freundeskreis Carl von Ossietzky« formiert, zu dem unter anderen Ossietzkys frühere Mitarbeiterin Hilde Walter, Willy Brandt und zahlreiche Schriftstellerkollegen gehören. Sie kämpfen für die Freilassung des Pazifisten und versuchen, durch regelmäßige Presseberichte auf sein Schicksal aufmerksam zu machen. Im Zuge dieser Aktionen wird 1934 auch eine groß angelegte Kampagne für die Verleihung des Friedensnobelpreises an Ossietzky gestartet, um mit dem Preis einen Pazifisten zu ehren, der zum »Märtyrer einer Idee« geworden ist.1936 ist die Weltöffentlichkeit hinlänglich über »den Fall Ossietzky« informiert und das NS-Regime, das im Jahr der Olympischen Spiele auf internationale Anerkennung bedacht ist, muss den schwer kranken Ossietzky aus dem KZ entlassen. Er wird in ein Berliner Polizeikrankenhaus überstellt. Im Herbst ist die weltweite Nobelpreiskampagne endlich von Erfolg gekrönt, Carl von Ossietzky erhält den Friedensnobelpreis für das vorangegangene Jahr 1935 verliehen, weil er sich als Journalist unbeirrbar für Frieden, Demokratie und Völkerverständigung eingesetzt hat und so zu einem Symbol für Pazifismus geworden ist. Trotz seiner misslichen Lage ist Ossietzky mutig genug, gegenüber Göring auf der Annahme des Preises zu bestehen, aber zur Nobelpreisverleihung nach Norwegen darf er nicht fahren. Und auch das Preisgeld erhält er nicht, denn das wird von dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt Dr. Wannow unterschlagen.Die letzten eineinhalb Jahre seines Lebens verbringt Carl von Ossietzky unter Gestapoaufsicht im Sanatorium Nordend. Er stirbt im Mai 1938 an den Folgen der Haft im Konzentrationslager. Doch bis zuletzt bleibt er seiner Journalistenehre treu, die er einmal so in Worte fasste: »Man mag uns verurteilen, heute, morgen, übermorgen, wir werden es hinnehmen, aber unser Stolz wird sein, nicht »gebessert«, sondern nur energischer, schärfer, dichter und zäher zu werden. Dafür sind wir Publizisten und stehen wir im Dienst der Öffentlichkeit.«S. Straub
Universal-Lexikon. 2012.